fbpx
Suche

Junges Familienoberhaupt mit Willenskraft

Inmitten von Bananenbäumen leben im Norden Tansanias sechs Geschwister in einfachsten Verhältnissen ohne Eltern, ganz auf sich selbst gestellt. Aronia Joseph, die Älteste unter ihnen, kümmert sich seit Jahren allein um sie. Unsere Partnerorganisation Humuliza unterstützte sie bei der Bewältigung dieser grossen Aufgabe und stand ihr auch bei, als ihr Vater seine Kinder ins Elend stürzte.

«Karibou!», heisst uns Aronia Joseph mit einem breiten Lächeln willkommen. Sie setzt sich auf die langen getrockneten Grashalme, die den Erdboden in der Stube etwas wohnlicher machen. Uns bietet sie die wackelige Sitzbank an, das einzige Möbelstück im Raum. Die Wände sind aus bröckeligem rotem Lehm mit einem Skelett aus Holzstäben. «Unsere Eltern haben diese Hütte gebaut», erklärt die 21-Jährige, die jedoch viel jünger aussieht. Sie trägt einen bunten Rock, der zur ebenso traditionellen Bluse passt.

Wir sind auf Projektreise in Tansania. In Nshamba, in der Region Kagera, besuchen wir das Büro unserer Partnerorganisation Humuliza. Aronia, ist Teilnehmerin des Programms und lädt uns zu sich nach Hause ein. Sie möchte uns ihre Geschichte erzählen und was ihr die Arbeit von Humuliza und terre des hommes schweiz bedeutet. Und so hören wir ihrer Familiengeschichte gebannt zu.

Betrogene Mutter mit sechs Kindern
Aronia Joseph, ihre Mutter und ihre fünf Geschwister wurden unter dem rostigen Wellblechdach mitten im Bananenhain vom Vater allein zurückgelassen. «Er hat mit seiner Affäre eine neue Familie gegründet», stellt Aronia Joseph nüchtern fest. In den ländlichen Gebieten Tansanias keine Seltenheit. Der betrogenen Mutter blieb damals mit den sechs Kindern immerhin die Plantage um das Haus: Die Bananenbäume warfen zuverlässig regelmässige Ernte ab und die Kaffeesträucher in deren Schatten auch.

Das kleine Einkommen reichte zwar für den Lebensunterhalt, Arztbesuche konnte sich die Mutter aber nicht leisten. Trotz jahrelanger Bauchschmerzen. «Erst als die Krämpfe unerträglich wurden, suchte sie doch einen Arzt auf», erinnert sich Aronia Joseph. «Er konnte ihr nicht helfen.» Woran ihre Mutter schliesslich starb, weiss Aronia Joseph noch immer nicht. «Sie hätte eine Operation gebraucht, die wir uns aber nicht leisten konnten.» Ihre Mutter war lange bettlägerig. So übernahm Aronia Joseph immer mehr Aufgaben in der Haushaltsführung. «Bis ich ganz das Familienoberhaupt wurde.» Kurz nach dem Tod ihrer Mutter suchte sie bei der Organisation Humuliza Hilfe. «Ich kannte Humuliza weil Freunde mich schon früher zu Aktivitäten mitgenommen hatten.»

Trost, Wissen und Selbstvertrauen für den Alltag
Humuliza unterstützen Aronia Joseph und ihre Geschwister bei der Trauerbewältigung aber auch mit handfestem Know-How, um sich in ihrer Lage zurecht zu finden. So lernte Aronia Joseph beispielsweisen den Haushalt zu führen oder wie sie erfolgreich Pflanzen anbauen und Ernte einfahren kann. Dinge, um die sich bis dahin ihre Mutter gekümmert hatte. Mit deren Tod ging – wie in vielen ähnlichen Fällen – viel Wissen verloren, bevor es weitergegeben wurde.

«Etwas vom wichtigsten, das ich von Humuliza gelernt habe, ist neuen Mut und neues Selbstvertrauen zu fassen», erzählt Aronia Joseph weiter. Vorher sei sie schüchtern gewesen und habe sich in einer Gruppe kaum getraut, etwas zu sagen. Jetzt ist es anders. Das ist wichtig, wenn sie sich im rauen Alltag behaupten will. «Ausserdem habe ich gelernt, wie ich mich um meine noch kleinen Geschwister kümmern kann. Physisch, aber auch psychisch.»

Aronia stellt einen Topf auf die kleine Feuerstelle in ihrer Hütte.

Eine Hütte und ein Flecken Land

Wir laufen mit Aronia Joseph um die Hütte zum kleinen erdigen Platz dahinter. In einer Ecke dienen ein paar Holzstangen und Bananenblättern als Sichtschutz für die Toilette – ein Loch im Boden. Daneben liegt ein Bündel Feuerholz. Wie jedes Wochenende hatten sie es am Samstag gesammelt. Aronia Joseph greift sich einige Zweige und trägt sie in die Hütte. Die Küche ist ein Raum mit russigen Wänden, Zeitungspapier und ein paar Bananenbüschel. «Hier kochen wir», sagt Aronia Joseph, bricht ein paar Zweige zurecht und legt sie in die kleine Feuerstelle. «Bald kommen die Kinder nach Hause und brauchen zu Essen.»

 «Von Humuliza habe ich nach dem ersten Kurs ein paar Nutztiere und etwas Saatgut bekommen», erklärt Aronia Joseph und meint damit das Huhn und die Ziege, die in ihren Holzbeschlägen hinter der Hütte leben. «Wir ziehen sie gross und verkaufen sie», sagt sie. «Dann kaufen wir je zwei junge und beginnen von vorne.»

Mit dem Training von Humuliza schien sich das Leben für die Geschwister zu bessern – bis ihr Vater sie ganz in die Armut stürzte. «Stück für Stück verkaufte er unsere Plantage. Er hat uns unsere Lebensgrundlage geraubt!» Seinen Kindern liess er nur die Hütte und dahinter einen Flecken Land. Mehr nicht. Damit wurde die Lage desolat. Plötzlich fehlte das Geld für alles: Nahrungsmittel, Kleider, Schulgebühren und -uniformen.

Humuliza half der jungen Familie. «Sie übernehmen die Kosten für den Schulbesuch meiner Geschwister.» Ausserdem bekommt die Familie umgerechnet CHF 4.30 monatlich für den Unterhalt. «Wir sind Humuliza sehr dankbar. Ohne sie würden wir nie auskommen», erklärt Aronia Joseph. Denn mit den Bohnen, die sie nun um die Hütte anpflanzt, kommt nicht genügend zusammen.

Aronia sitzt an einem grünen Plastiktisch vor einem Stapel Papiere. Im Hintergrund Holzregale mit Zeitschriften.
Bei Humuliza hat Aronia gelernt, mit Computern und Tabletts umzugehen. Sie mag die digitale Arbeit.

Ziel: Selbstständigkeit
Ausserdem hat sie bei Humuliza einen kleinen Job bekommen. «Ich erfasse Statistiken und trage sie auf einem Tablett ein», erzählt sie lächelnd. Aronia Joseph mag diese Art von Arbeit. «Am liebsten würde ich ein Internet-Café aufmachen und Webseiten gestalten.» Für das europäische Auge will Webdesign nicht so recht ins tansanische Hinterland passen. Aber viele hier haben ein altes Billig-Smartphone und in der Dorfmitte ist das Handynetz nicht immer schlecht.

«Wenn das nicht klappt, fände ich ein Café oder ein kleines Gasthaus auch ganz gut.» Bis sie sich ihren Traum erfüllen kann, hat sie noch einen langen Weg vor sich. Obwohl sie dankbar ist und glücklich, ihre Geschwister versorgt zu wissen, zufrieden ist die 21-Jährige nicht. «Ich möchte auf eigenen Beinen stehen und selber für uns sorgen.» Bei Humuliza habe sie das nötige Wissen hierzu gelernt «Jetzt braucht es noch viel Geduld und harte Arbeit.» Uns wird klar: Von der Familiengeschichte lies sie sich nicht entmutigen und ist nun bereit sie positiv weiterzuschreiben

Trost für junge Familienoberhäupter

Trost, so lautet der Name Humuliza in der Sprache Kihaya. Dafür wurde das Projekt 1997 von terre des hommes schweiz initiiert. In Nshamba, im Distrikt Muleba (Region Kagera) verlieren jährlich unzählige Kinder und Jugendliche wie Aronia Joseph ihre Eltern durch Aids oder andere Krankheiten. Humuliza begleitet sie in der Trauerbewältigung und bietet ihnen psychosoziale Unterstützung. Durch den Tod der Erwachsenen aber auch ganz praktisches, wichtiges Wissen zur lebenserhaltenden Landwirtschaft und Tierhaltung verloren, wodurch die hinterbliebenen Kinder und Jugendlichen noch tiefer in die Armut geraten. So stärkt Humuliza die Betroffenen auch mit umfassenden praktischen zum Führen eines eigenen Haushalts. Zudem sorgt Humuliza dafür, dass jährlich Tausende von Kindern und Jugendliche ihr Recht auf Schulbildung wahrnehmen können und übernimmt damit verbundene Kosten. Weiter bildet die Organisation jedes Jahr 20 Jugendliche in nachhaltiger Landwirtschaft und Nutztierhaltung aus. Am Ende des Kurses stellt sie ihnen – wie auch Aronia Joseph – Saatgut und Kleintiere zur Verfügung.

Nach oben blättern