Afrokolumbianische Jugendliche aus ärmeren Vierteln sind den Gangs besonders ausgesetzt.
Im Schatten der Corona-Krise zieht eine Welle der Gewalt über Kolumbien. Stark betroffen ist auch die Region Valle del Cauca, wo terre des hommes schweiz in der Gewaltprävention mit Jugendlichen arbeitet. Bewaffnete Gruppierungen bekräftigen dort mordend ihre Territorialansprüche und beseitigen politische Gegnerinnen und Gegner. Erst letzte Woche töteten vermutlich Gangs fünf unschuldige Jugendliche. Im Juni vergewaltigte eine Gruppe Soldaten ein 12-jähriges Mädchen. Wir fordern, dass die Justiz diese Verbrechen verfolgt und dass die Verbrecher nicht straffrei davon kommen.
Es ist Dienstagnachmittag. Fünf afrokolumbianische Jugendliche treffen sich am Stadtrand von Cali. Sie möchten auf einem Feld etwas Zuckerrohr essen und vielleicht ein paar Mangos pflücken, das hatten sie den Eltern gesagt. Die 14- bis 16-Jährigen haben ausserdem einen Drachen dabei, den sie steigen lassen. Stunden später werden ihre Leichen mit Schuss- und Schnittwunden von Rettungskräften aus einer nahegelegenen Schlucht geborgen.
Rekrutierung oder rassistische Motive
Die Vermutung liegt nahe, dass organisierte bewaffnete Gruppierungen hinter der Tat stecken. Nicht nur im Departement Valle del Cauca und in deren Hauptstadt Cali liefern sich Guerilla, Paramilitärs und Drogengangs blutige Konflikte um Territorien und reissen immer wieder auch unschuldige Menschen in die Kämpfe. So wäre es möglich, dass sich die Jugendlichen nicht in eine Bande rekrutieren lassen wollten und darum getötet wurden.
Die Armut und die fehlende Perspektive machen afrokolumbianische Jugendliche zum Ziel der Banden, die mit leeren Versprechungen rekrutieren. Auch die Aussicht auf Zugehörigkeit macht die Banden für schwarze Jugendliche anziehend, denn sie werden oft stigmatisiert und sozial ausgegrenzt. Darum könnte der Mord an den fünf Jugendlichen auch rassistisch motiviert sein: Todesschwadronen greifen immer wieder gezielt schwarze und indigene Kolumbierinnen und Kolumbier an.
Die Straftat bleibt nicht die einzige: Am gleichen Tag wurden ein 15- und ein 16-Jähriger gefesselt, gefoltert und erschossen, laut Augenzeugen von rechtsradikalen Paramilitärs oder abtrünnigen FARC-Kämpfern. Und am vergangenen Samstag töteten Amokläufer im südlichen Departement Nariño 12 indigene Jugendliche an einem Dorffest.
Valle del Cauca ist strategisch wichtig
Auch Aktivisten und Aktivistinnen für den Frieden und die Rechte der schwarzen und indigenen Bevölkerung werden von Milizen gezielt attackiert. Normalerweise wechseln sie häufig ihre Standorte, um sich zu schützen. Das ist während des Lockdowns nicht möglich. So können Milizen ihre politischen Gegnerinnen und Gegner leichter finden, bedrohen oder ermorden. Allein in diesem Jahr haben Banden 214 Aktivistinnen und Aktivisten getötet. Die Regierung schweigt.
Die Situation im Departement Valle del Cauca ist wegen seiner Bodenschätze, seiner Kokaplantagen und der Drogenhandelsrouten besonders dramatisch. Menschenrechtsorganisationen prangern öffentlich an, dass der Staat bei den Gewaltverbrechen der Banden strategisch wegsieht. Zwar wurde die Region von der Regierung stark militarisiert. Doch das Vakuum, das die FARC nach ihrer Entwaffnung hinterlassen hat, können die Soldaten nicht ausfüllen. Die Gewalttaten passieren trotzdem.
Zivilgesellschaftliche Organisationen stützen
Schlimmer noch, die Armee ist zum Teil selbst gewalttätig. Im Juni vergewaltigten Soldaten des kolumbianischen Militärs ein 12-jähriges indigenes Mädchen. In der Stellungnahme forderte terre des hommes schweiz zusammen mit anderen Schweizer NGO die sofortige Verfolgung dieses Verbrechens, denn die Aufklärung solcher Gewalttaten drohen schnell zu versanden. Auch der Mord an den fünf Jugendlichen und zahlreichen Aktivistinnen und Aktivisten muss die Justiz unbedingt aufklären. Die Verbrecher dürfen nicht straffrei davon kommen.
«In der aktuellen Gewaltwelle ist es wichtig, die lokal verankerten, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Akteurinnen und Akteure in der Friedensförderung zu unterstützen», schreibt Andrea Zellhuber, unsere Themenverantwortliche für Gewaltprävention. «Sie haben auch eine zentrale Rolle in der Verbreitung von wichtigen Informationen über die Pandemie. Sie geniessen grosses Vertrauen bei der Bevölkerung und erreichen auch Menschen in entlegenen Gebieten.»
Unsere Partnerorganisation Paz y Bien setzt sich derweil dafür ein, dass keine weiter Generation im Umfeld von Gewalt aufwächst. Dort helfen ehemalige Bandenmitglieder gewalttätigen Jugendlichen, sich mit ihren Opfern zu versöhnen und mit Ausbildungs- und Arbeitsplätzen eine neue Lebensperspektive aufzubauen. So verlieren die Gewalt und die Versprechen der Gangs ihren Reiz. Jetzt, da Covid-19 die Gewalt verstärkt, ist das besonders wichtig.
Unterstützen Sie hier unsere Arbeit zur Gewaltprävention in Kolumbien.