Kein anderes Land in Lateinamerika ist so schwer von Corona gezeichnet wie Brasilien. Zusätzliches Leid verursacht der zunehmende Hunger, wovon 10 Millionen Brasilianer*innen mehr betroffen sind als noch vor zwei Jahren. terre des hommes schweiz, Terre des Hommes Suisse und ihre brasilianischen Partnerorganisationen leisten psychosoziale Unterstützung bei Todesfällen und helfen mit Nahrungsmittelkörben.
Mehr als 4’000 Corona-Tote innerhalb eines Tages wurden Anfang April in Brasilien registriert. Die dritte Corona-Welle, die sich seit Dezember aufgebaut hat, schlägt so hart zu wie nie zuvor. Die neue Virusvariante P1 hat zu einer entsetzlichen Situation in weiten Teilen des Landes geführt: Die Krankenhäuser sind überfüllt, oft fehlen inzwischen Beruhigungs- und Narkosemittel und in vielen Spitälern sind alle Beatmungsgeräte belegt. Die Notversorgung der schwer Erkrankten kann so nicht mehr gewährleistet werden, unzählige Menschen sterben ohne ärztliche Hilfe. Das Gesundheitspersonal ist erschöpft und leidet an ernsten psychologischen Belastungen.
Staatliche Hilfe abgebaut
Weil Präsident Jair Bolsonaro noch immer nichts von einem Lockdown hält und es in den Bundesstaaten keine einheitlichen Schutzmassnahmen gibt, breitet sich das Virus weiterhin beinahe ungehindert aus. Rund 380’000 Corona-Tote sind bisher zu beklagen. Und die derzeitige Impfgeschwindigkeit deutet nicht darauf hin, dass es bald einen Rückgang bei den bisher täglich rund 50’000 bis 80’000 Neuinfektionen geben wird. Die Ausbreitung des Virus hat Brasilien an den Rand einer humanitären Katastrophe gebracht.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Hunger in Brasilien in den letzten Jahren wieder stark zugenommen hat und durch die Corona-Pandemie nochmals verstärkt worden ist. Zwischen 2004 und 2013 konnten mit dem Null Hunger Programm («Fome Zero») unter Präsident Lula da Silva starke Verbesserungen bei der Ernährung der Bevölkerung erreicht werden. Seit 2015 wurden die staatlichen Unterstützungsprogramme jedoch immer mehr abgebaut – am stärksten seit der Machtübernahme Bolsonaros im Januar 2019. Seither ist die Zahl der tatsächlich an Hunger leidenden Menschen in Brasilien stark gestiegen. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie des Brasilianisches Forschungsnetzwerk für Ernährungssouveränität und -sicherheit, an der auch die renommierte Friedrich Ebert Stiftung beteiligt war, befinden sich Ende 2020 fast 117 Millionen Brasilianer*innen in der Situation der Ernährungsunsicherheit. 19.1 Millionen leiden unter starkem Hunger, rund 10 Millionen mehr als noch vor zwei Jahren.
Lebensmittelkörbe gegen den Hunger
terre des hommes schweiz reagiert gemeinsam mit Terre des Hommes Suisse in der Romandie und den lokalen Partnerorganisationen auf die dramatische Situation. Wir leisten in unseren Projektregionen psychosoziale Unterstützung für Jugendliche und ihre Familien, die von Corona-bedingten Todesfällen schwer betroffen sind. So können die negativen psychischen Folgen der traumatischen Erfahrungen aufgearbeitet werden. Ausserdem leisten wir weiterhin Aufklärungsarbeit zur Corona-Prävention und verteilen Masken und Hygieneartikel zum Schutz vor Infektionen.
Fünf unserer Partnerorganisationen haben ausserdem auf den zunehmenden Hunger reagiert. Die Basisorganisationen Centro Sabiá und ASPTA sowie das Konsortium MOC, SASOP und EFASE, die alle im Bereich der agrarökologischen Bildung und Vernetzung von jungen Bäur*innen in den ländlichen Regionen Nordostbrasiliens tätig sind, verteilen unter anderem Lebensmittelkörbe an bedürftige Familien in den umliegenden Ortschaften. Im Bundesstaat Bahia zum Beispiel profitierten im Jahr 2020 mehr als 12.000 Familien davon.
Da in vielen Bundesstaaten Schulen geschlossen wurden und auf Fernunterricht umgestellt wurde, waren viele benachteiligte Kinder und Jugendliche von einem Tag auf den anderen von Bildung ausgeschlossen. Unsere Partnerorganisationen unterstützen daher mittellose Familien darin, ihren Kindern einen Zugang zum digitalen Fernunterricht zu ermöglichen. Bisher haben fast 5’000 Kinder und Jugendliche von diesen Massnahmen profitiert.
Wo der Staat sich zurückgezogen hat und untätig ist, sind die sozialen Bewegungen wieder gefragt und tun ihr Möglichstes, die physische und psychische Not zu lindern. terre des hommes schweiz unterstützt ihre Partnerorganisationen in Brasilien dabei mit zusätzlichen Mitteln. Richard Geer