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Erstes Schweizer Flüchtlingsparlament

Am Sonntag 6. Juni tagte das erste Schweizer Flüchtlingsparlament in der Berner Dreifaltigkeitskirche. Ein historischer Meilenstein für die Schweiz. Am Ende der Session präsentierten die Teilnehmenden anwesenden und zugeschalteten Politiker*innen zehn ausgewählte Forderungen.

Familienbesuche im Schengen-Raum für Vorläufig Aufgenommene: Das wünschen sich Flüchtlinge in der Schweiz. Das Flüchtlingsparlament hat am Sonntag einen Vorschlag dazu und zu weiteren Punkten beschlossen. Die Teilnehmenden möchten, dass der Zugang zu Bildung für Geflüchtete verbessert wird und dass wer während der Lehre einen negativen Asylentscheid erhält, eine angefangene Ausbildung trotzdem abschliessen darf. Weiter hat sich das Flüchtlingsparlament für einen erweiterten Familiennachzug ausgesprochen: Kinder sollen ihre Eltern in die Schweiz holen dürfen. Ausserdem sollen Kinder in der Schweiz unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in erster Linie als Kinder und altersgerecht behandelt werden.

Wie auf einem Schiff ohne Hafen

Teilnehmende, Gäste und unterstützende Organisationen betonten es im Laufe des Tages immer wieder: es wird viel über Geflüchtete geredet, sie werden aber selten gefragt. Der junge Sayed N., der aus Afghanistan geflohen ist und seit beinahe fünf Jahren in der Schweiz lebt, beschreibt seine Situation so: „Unser Leben ist wie ein Schiff auf einer stürmischen See in der Hoffnung, einen sicheren Hafen zu finden. Den Hafen haben wir in der Schweiz gefunden, aber leider können wir nicht hier anlegen.“ Sayed, der neben Deutsch auch Schweizerdeutsch spricht, musste eine angefangene Lehre nach dem negativen Asylentscheid abbrechen.

Das Flüchtlingsparlament, dass diesen Sonntag zum ersten Mal tagte, soll auch ein Schritt in Richtung echte Demokratie sein, meinte eine Teilnehmerin bei der Eröffnung. Das Parlament selbst hatte auch hohe demokratische Ansprüche an die eigenen Prozesse. Seit Ende April hatten sich rund 75 Geflüchtete aus 19 Kantonen und 15 Ländern in 9 Kommissionen online auf die erste Flüchtlingssession vorbereitet und Vorschläge ausgearbeitet. Am Tag selbst wurden nochmals alle rund 30 Forderungen in allen Kommissionen besprochen, zum Teil angepasst und im Plenum präsentiert. Auf dieser Basis wählten die Sessionsteilnehmenden dann 10 Forderungen aus, die Schweizer Politiker*Innen verschiedener Parteien und unterstützenden Organisationen präsentiert wurden.

Jeyani Thiagaraja, Teilnehmerin unseres Projekts MePower, war Teil der Gesundheitskommission. Im Vorfeld erzählte sie uns von ihrer Motivation, am Flüchtlingsparlament teilzunehmen und den in der Kommission besprochenen Forderungen.

Verständnis für Forderungen

Die Forderungen stiessen bei den anwesenden Parlamentarier*innen auf Verständnis und einige versprachen, einzelne Anliegen weiterzuverfolgen. So meinte zum Beispiel die Zürcher SP-Nationalrätin Céline Widmer: «Die Härtefallgesuche werden je nach Kanton unterschiedlich umgesetzt. Es braucht Möglichkeiten zur Regularisierung in jedem Kanton, sodass viel mehr Härtefallgesuche möglich sind – das ist gut sowohl für die Betroffenen wie auch für die Schweiz.» Aktuell können Geflüchtete frühestens nach fünf Jahren Aufenthalt in der Schweiz ein Härtefallgesuch stellen und die Hürden für Erfolg sind sehr hoch.

Der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt wiederum unterstützt die Forderung, dass Geflüchtete auch nach Ablehnung ihres Asylgesuches ihre Lehre oder Ausbildung abschliessen können: „Egal, wie der Asylentscheid herauskommt, soll eine Lehre abgeschlossen werden können. Gleich ob eine Person bleibt oder zurückkehrt, macht das Sinn. Jeder Mensch in der Schweiz braucht eine Perspektive für eine Berufslehre oder ein Studium. Die Durchlässigkeit des Schweizer Bildungssystems ist eine Stärke, die auch für Geflüchtete offen stehen soll.“ Eine entsprechende Motion wurde vom Nationalrat 2020 angenommen, Anfang dieses Jahres jedoch vom Ständerat abgelehnt.

Das Flüchtlingsparlament 2021 soll erst der Anfang sein. Der Geflüchtete Amine Diare Conde, der den Podiumsteil der Veranstaltung moderierte, hielt am Ende fest: „Ab heute werden die Stimmen der Geflüchteten nicht mehr ignoriert. Sie möchten mitdenken und mitreden, weil sie direkt erleben, wie unser Asylwesen funktioniert – oder auch nicht.“

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