Abseits der aktuell laufenden Fussball-Weltmeisterschaft und dem Erfolg der marokkanischen Mannschaft wurden Klagen gegen Marokko bei UN-Menschenrechtsverfahren eingereicht. Noch immer sind sahrauische Studenten als politische Gefangene inhaftiert.
Mit dem Einzug ins Fussball-WM-Halbfinale hat Marokko eine Sensation geschafft. Der Jubel war gross, als die Mannschaft als erstes afrikanisches Team überhaupt so weit aufgestiegen ist. Dieser Erfolg sei den jungen Männern der marokkanischen Nationalmannschaft vergönnt. Aus einem Land kommend, in dem die Jugendarbeitslosigkeit 27 Prozent beträgt, haben sie sich mit einer bemerkenswerten Profi-Fussballkarriere mehr als einen Traum erfüllt.
Am Mittwoch, 14. Dezember, strahlten die Scheinwerfer weltweit auf das historische WM-Halbfinalspiel Marokko-Frankreich. Am selben Tag, mit weit weniger Beachtung, reichte ein Zusammenschluss von Organisationen bei mehreren Sonderverfahren des UN-Menschenrechtsrats eine Klage gegen Marokko ein.
In der Klage geht es um zehn sahrauische Studenten, die in marokkanischen Gefängnissen unrechtmässig festgehalten werden und gefoltert worden sind. Bereits 2019 kam die Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen zum Schluss, dass vier der 2016 verurteilten Studenten einzig aufgrund ihres politischen Aktivismus festgehalten werden, und forderte ihre sofortige Entlassung.
Studierende vernetzen sich
Einer der Studenten ist Aziz El Ouahidi. Er wurde im Juli 2016 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Aziz El Ouahidi war damals 23 Jahre alt und gehörte zur sogenannten El-Wali-Studentengruppe. 2014 begannen sahrauische Studierende, die in Marokko oftmals diskriminiert werden und für ihre Rechte kämpfen müssen, sich vermehrt zu organisieren. Sie knüpften auch Kontakte zu marokkanischen Studierendenorganisationen und setzten sich zum Teil gemeinsam für ihre Anliegen ein. Damit kamen auch viele junge Marokkaner*innen zum ersten Mal mit jungen Sahrauis ins Gespräch und erfuhren eine andere Erzählweise der gewaltsamen Besetzung der Westsahara, als die marokkanische Propaganda sie bis heute verbreitet. Zudem begannen sich die verschiedenen lokalen sahrauischen Studierendenorganisationen zu vernetzen.
Erzwungenes Geständnis als Beweis
Im Dezember 2015 wurde in Marrakesch ein sahrauischer Student lebensbedrohlich verletzt. Die Attacke mit Messern und Schwertern, angeblich durch marokkanische Studenten, wurde von der Polizei nicht untersucht. Dies führte zu einem Protest, zu dem Studierende aus ganz Marokko anreisten. Nach Ende der Demonstration wurde ein marokkanischer Student getötet. Dieses Ereignis wurde zum Anlass genommen, in den darauffolgenden Monaten zahlreiche Führer der sahrauischen Studierendenbewegung zu verhaften. Unter ihnen Aziz El Ouahidi. Er begab sich selbst auf die Polizeistation, nachdem die Polizei das Haus seiner Familie gestürmt, Familienmitglieder misshandelt und gedroht hatte, seinen jüngeren Bruder zu verhaften, falls Aziz El Ouahidi sich nicht stelle. Er wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was ihm vorgeworfen wurde.
Aziz El Ouahidi wurde verurteilt, am Tod des marokkanischen Studenten beteiligt gewesen zu sein, obwohl es Beweise dafür gibt, dass er sich an besagtem 24. Januar 2016, an dem der marokkanische Student starb, gar nicht in Marrakesch aufgehalten hat. Das Beweisstück, das zu seiner Verurteilung führte: ein unter Folter unterschriebenes Geständnis. Trotz der Beurteilung der UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen von 2019, dass Aziz El Ouahidi und weitere Mitglieder der Studentengruppe zu Unrecht im Gefängnis sind, ist nichts geschehen.
Sahrauische Studenten weiterhin in Haft
Deshalb wurde diese Woche eine weitere Klage bei der UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen beim UN-Sonderberichterstatter zum Schutz des Rechts auf freie Meinungsäusserung und dem UN-Sonderberichterstatter über Folter eingereicht.
Während die Fussballfans mit der marokkanischen Mannschaft fieberten, Aziz El Ouahidi und andere sahrauische Studenten als politische Gefangene in Haft sind, leben 174’000 Sahrauis immer noch in den sahrauischen Flüchtlingslagern in der Wüste Algeriens. Sie sind 1975 dorthin geflohen, als marokkanische Truppen in die Westsahara einmarschierten. Inzwischen wächst dort unter prekärsten Bedingungen die dritte Generation von sahrauischen Flüchtlingen heran.