Die Gewalt in El Salvador ist allgegenwärtig. Jugendliche sehen sich zwischen Polizei, den Jugendbanden und den Vorurteilen der Gesellschaft gefangen. Eine Chance haben sie nur, wenn sie sich von der Gewalt distanzieren und ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.
Wer sich mit El Salvador auseinandersetz, trifft bald auf den Begriff «Mara» – Jugendbanden die in mehreren Mittelamerikanischen Ländern aktiv sind. Die deutsche Übersetzung täuscht etwas darüber hinweg, dass es sich dabei um weitverzweigte, hochprofessionelle und strukturierte Mafiagangs handelt. In jenen Orten und Quartieren, wo sie das sagen haben, bestimmen sie den Alltag der Menschen.
Bei Ausflügen in einen anderen Stadtteil zum Beispiel. Wird das eigene Quartier von einer anderen Mara beherrscht als jenes der Freundin, sind gegenseitige Hausbesuche nicht möglich. Handwerker liefern ihre Waren an die Territoriumsgrenze der Maras, weil es für ihre Kunden sicherer ist.
Jugendliche sind faul und auf schnelles Geld aus
El Salvador hat laut UNO seit drei Jahren die höchste Mordrate weltweit. Dass die Maras in El Salvador den Löwenanteil an diesem Übel ausmachen, ist nur zu vermuten. Mehr lässt die tiefe Aufklärungsrate nicht zu. Die Gangs dominieren in vielen Gebieten beinahe uneingeschränkt. Unter Gewaltandrohung können sie beinahe alles erzwingen: Schutzgelderpressung von Unternehmen, Zutrittsbeschränkungen in ihre Territorien bis hin zu Bedrohung von Familien, bis diese ihre Töchter an die Gang ausliefern.
«Mich bedrückt, wie die Gewalt und ständige Bedrohung dort längst zur Normalität geworden ist», sagt Daniela Weber, unsere Programmkoordinatorin für El Salvador, «genauso wie das schlechte Image der Jugendlichen.»
Sie gelten in El Salvador als gewalttätig und gefährlich. Ausserdem würden sie nicht studieren oder arbeiten wollen, sondern suchten bloss das schnelle Geld. Darum seien die meisten in den Maras, so die weit verbreitete Meinung. Dabei entgeht, dass viel strukturelle Gewalt die Jugendlichen in die Gangs treibt. Die Banden rekrutieren ihren Nachwuchs bereits an den Schulen und setzen grossen Druck auf. Wie die Maras dabei genau vorgehen, bleibt im Dunkeln. Wer zu viele Fragen stellt, riskiert Leib und Leben.
Pandilleros haben keine Zukunft
Auch beim Staat stehen die Jugendlichen unter Generalverdacht. Die Regierung hat den Maras den Krieg erklärt und die Aktion «zur Rückgewinnung der Territorien» lanciert – mit viel Polizei- und gar Militäreinsatz. Immer wieder werden Jugendliche willkürlich festgenommen oder mit Gewalt angegangen. Ob Bandenmitglied oder nicht, spielt oft keine Rolle. Die Jugendlichen stecken zwischen Hammer und Amboss. Ständig droht die Gefahr, vom Staat als Pandillero – als Gangmitglied – und von einer Mara als Spion von der Konkurrenz verwechselt zu werden. In beiden Fällen droht ihnen harte und nicht selten tödliche Gewalt.
Ist ein Jugendlicher einmal als Pandillero verdächtigt, kostet ihn das leicht seine Zukunft: Bandenmitglieder fliegen von der Schule und er wird von der Gesellschaft ausgegrenzt. «Es existiert ein Schwarz-Weiss-Denken, das die Rehabilitierung von fälschlich Verdächtigten kaum zulässt, geschweige denn von Aussteigern», erzählt Daniela Weber. Die Stigmatisierung und fehlende Perspektive treibe die Jugendliche erst recht in die Arme der Maras. Das Problem pflanzt sich fort.
Jugendliche beweisen das Gegenteil
Ein wirksames Mittel, dieser Zwickmühle zu entgehen ist, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen und öffentlich gegen die Gewalt auszusprechen. So distanzieren sich die Jugendlichen von den Maras und verbessern ihr Image bei Staat und Leuten. Unsere Partnerorganisationen bestärkt sie darin. Gleichzeitig helfen sie den Jugendlichen, sich mit eigenen Kleinunternehmen eine neue Zukunftsperspektive jenseits der Maras aufzubauen. So widerlegen sie auch das Image faul zu sein, das ihnen anhaftet. Marco, der eigentlich anders heisst, hat zum Beispiel ein eigenes Schweisser- und Maurergeschäft aufgebaut. Mittlerweile hat er gar einen Angestellten. Er trägt zu einem besseren Image der Jugendlichen bei.
Nicht nur die Jugendlichen sondern auch unsere Partnerorganisationen sprechen sich gegen die Befürwortung von Gewalt aus. Spezifisch gegen jene an Frauen und Mädchen – sie ist in der Kultur tief verankert. Auf Social-Media-Plattformen wurde kürzlich der Eifersuchtsmord an einer jugendlichen Frau mit Kommentaren wie «Die Schlampe hat es verdient!» goutiert. Dagegen wehrten sich unsere Partnerorganisationen mit Gegenkommentaren. Sich öffentlich gegen die Gewalt wenden und andere ermutigen, es ebenso zu tun, das ist die Taktik gegen den Ist-Zustand in El Salvador. So soll der Gewalt Stück für Stück die Normalität genommen werden.