Vila Autodromo ist nur eine von vielen Gemeinden, die von Zwangsräumungen, Polizeigewalt und von Verletzungen der Menschenrechte betroffen sind. Und das im Namen von sportlichen Grossereignissen. Eine der Betroffenen, die sich dagegen zur Wehr setzen, ist Maria da Penha. Sie ist nur eine der wenigen, deren Widerstand auch Erfolg hatte. Der Weg dahin war lang und der Preis dafür hoch.
Maria da Penha ist 51 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern und lebt seit 22 Jahren in Vila Autodromo (Rio de Janeiro). Die Bewohner des Stadtteils Vila Autodromo in Rio gehören zu den Vielen, die die sportlichen Grossereignisse ausbaden müssen. Ende Juni 2016 wurde sie von der UNO und dem IOC eingeladen, über die Lage in den Favelas von Rio und insbesondere über ihre Geschichte zu berichten. Als sie in Genf zu Gast war, sprachen wir mit ihr.
terre des hommes schweiz: Wann begannen die Zwangsräumungen in der Gemeinde Vila Autodromo?
Maria da Penha: Zwangsräumungen gab es schon seit Anfang der 1990-Jahre. Die Menschen wehrten sich schon damals dagegen. Die Situation verschärfte sich nach den Panamerikanischen Spielen 2007 zunehmend.
Was sind die Gründe für diese Zwangsräumungen?
Über die Jahre wurden verschiedene Gründe dafür angeführt. Zum Beispiel aus Gründen des Umweltschutzes. Was uns in der Gemeinde aber klar ist: Sie wollen unsere Gemeinde dort nicht mehr, weil die Gegend an Wert gewonnen. Das weckt das Profit-Interesse. Die gute Lage und die wunderschöne Lagune tragen dazu bei.
Wie viele Menschen in Vila Autodromo sind davon betroffen?
Am Anfang lebten dort etwa 600 Familien bzw. ungefähr 3000 Personen. Seit der grossen Räumungswelle im März 2014 sind nur noch 20 Familien übrig.
Warum sind Sie geblieben?
Weil ich dort sehr glücklich bin und mir meiner Rechte sehr bewusst bin. Ich bin der Meinung Regierungen sind dazu da, die Rechte der Menschen zu schützen. Darum habe ich mich entschieden für mein Recht zu kämpfen.
Auch ihr Haus blieb nicht von den Bulldozern verschont.
Ja, es wurde am 8. März 2016 zerstört. In der Folge beschloss ich die Kirche zu besetzen und blieb einige Zeit dort. Später fand ich eine andere Unterkunft.
War die Zerstörung Ihres Hauses legal?
Wir erhielten im Voraus eine gerichtliche Verfügung.
Wieso haben Sie dann das Recht in Vila Autodromo zu bleiben?
Wir suchten die Unterstützung des öffentlichen Rechtsberatungsdienstes. Dieser focht die gerichtliche Entscheidung zur Zerstörung unseres Hauses an. Das Gebiet von Villa Autodromo wurde darauf hin zu einem “Gebiet spezieller sozialer Rechtsansprüche” erklärt. Mit diesem vorsorglichen Gesetz wird dafür gesorgt, dass dieses öffentliche Land dem sozialen Wohnungsbau dient.
In den Medien war zu lesen, dass ein neues Haus für ihre Familie gebaut werden soll. Wann soll es fertig sein?
Es wurde der 22. Juli 2016 als Termin gesetzt. Wenn die Behörden das schaffen wollen, dann wird das klappen. [Die Behörden haben den Termin nicht eingehalten, aber das Versprechen eingelöst. die Red.]
Nachdem die Meisten gegangen sind und die Siedlung zerstört wurde. Was ist noch übrig von dem, für das es sich zu kämpfen lohnt?
Die Gemeinde wird nicht mehr die Gleiche sein, aber ich bin sicher, dass ich dort noch glücklich sein kann. Meine Nachbarn haben sich entschieden zu gehen und ich bzw. meine Familie hat sich entschieden für unser Recht zu kämpfen. Wir sind dort verwurzelt und möchten unser Zuhause nicht verlassen. Viele von denen die gegangen sind bereuen es heute. Und eine Rückkehr ist nicht möglich.
In der Nachbarschaft sollen teure Häuser und Wohnungen gebaut werden. Wie wird die Gemeinschaft dann werden? Werden sie sich das Leben in dieser Umgebung noch leisten können?
Das Leben in der Gegend ist sowieso schon viel teurer geworden. Es wird aber in Zukunft darum gehen, dass sich die bisherigen Anwohner und die Neuen zusammenfinden. Sie werden sich an uns gewöhnen müssen. Und schliesslich scheint die Sonne für uns alle. Wir sind alle nur Menschen.
Ihr Kampf dauert schon sehr lange. Woher holen sie die Kraft und Motivation weiter zu machen?
Ich beziehe meine Stärke von Gott. Nur dank seiner Güte können wir die vielen Hindernisse überwinden. Wenn uns die Angst erfasst, schieben wir sie zur Seite. Wir ignorieren sie. Angst schadet allen Menschen und sie ist die Waffe der Schwachen.
Was macht Ihnen denn konkret Angst?
Die lokalen Behörden übten zweieinhalb Jahre viel psychischen Druck aus. Als wir zusahen, wie die Nachbarn gingen, waren wir immer wieder besorgt darüber, was passieren wird. In solchen Situationen muss man die Stärke in sich selbst finden.
Wie wurde psychischer Druck auf sie ausgeübt?
Die Angestellten der lokalen Behörden kamen zu uns und sagten uns: “Wenn ihr euch weigert, werdet ihr am Schluss gar nichts bekommen. Es wäre besser, wenn ihr jetzt geht und dann bekommt ihr etwas dafür. Wenn ihr vor Gericht geht, werdet ihr leer ausgehen.” Ausserdem wurden zunehmend die Einkaufsmöglichkeiten eingeschränkt. So wurde es immer schwieriger Lebensmittel einzukaufen. Des Weiteren liessen sie die Überreste der zerstörten Häuser als Erinnerung liegen. Nicht zuletzt wurden immer wieder das Licht und das Wasser abgestellt. Es war sehr deprimierend in einem solchen Trümmerfeld zu leben. Vila Autodromo war ursprünglich eine sehr grüne Gegend und jetzt sind alle Bäume gefällt.
Sie haben nun gewonnen. Trotzdem sind Sie immer noch sehr aktiv. Wieso?
Ich kämpfe dafür, dass sich diese Vorgänge in anderen Ländern nicht wiederholen. Dafür, dass BürgerInnen in anderen Ländern nicht von sportlichen Grossereignissen gleich betroffen werden und ihr Recht auf Wohnen respektiert wird. Die Olympischen Spiele sind für alle da und nicht nur für diejenigen, die die Rechte von anderen brechen. Es ist sehr traurig zu sehen, wie unsere Gemeinde zerstört wurde und ich möchte nicht, dass dies jemand anderem passiert.
Was bedeutet es für Sie hier in Genf zu sein und hier zur UNO und zum IOC zu sprechen?
Ich hoffe es wird gut und ich werde es schaffen meine und die Erfahrungen unserer Gemeinde weitergeben zu können. Ich möchte anderen Familien eine Stimme geben. Meine Geschichte zu erzählen soll Türen öffnen.
Was bedeutet Ihnen die Unterstützung durch Organisation wie terre des hommes?
Das ist sehr gut. Es ist ein Zeichen dafür, dass es noch gute Menschen gibt, die sich um andere Menschen kümmern. Für mich ist das ein Zeichen von Liebe und Menschen die uns helfen sind Engel, die von Jesus geschickt wurden.
Was können die Menschen in der Schweiz tun, um Ihnen zu helfen? Genügt es solidarisch zu sein?
Es ist wichtig unsere Gründe und unser Beharren auf das Recht auf Wohnen öffentlich zu machen. Sichtbarkeit ist sehr wichtig, denn sie verbessert unsere Situation in diesem Kampf und weitet ihn aus. Die Brasilianische Regierung wird ungern von anderen Regierungen kritisiert und das erhöht den Druck. Und dies auch in Zukunft, denn die Olympischen Spiele werden vorüber gehen, aber die Situation wird sich nicht ändern.
Wie wird es nach den Olympischen Spielen weitergehen?
Während den Spielen wird es viel Sichtbarkeit für unsere Situation geben. Ausserdem werden wir den unangenehmen Sicherheitsvorkehrungen unterworfen sein. Wir haben die Befürchtung, dass nach den Spielen unsere Situation vergessen gehen wird und die Druckversuche auf uns, die Vila Autodromo zu verlassen, wieder zunehmen werden.