Wie jedes Jahr beginnen heute die internationalen 16 Aktionstage gegen Gewalt an Frauen. Zwischen dem 25. November und 10. Dezember finden weltweit Aktionen und Veranstaltungen statt, die das tabuisierte Thema öffentlich machen. Auch unsere südafrikanische Partnerorganisation Lifeline organisierte heute einen Protestmarsch in Pietermaritzburg.
Hafid Derbal, Programmverantwortlicher Südafrika und Zimbabwe
“Das Problem ist so gross, dass wir uns manchmal machtlos vorkommen”, sagt Lungile, Sozialarbeiterin bei Lifeline, angesprochen auf das Thema Vergewaltigungen. In Südafrika werden jährlich über 65 000 Anzeigen wegen Vergewaltigung erstattet. Doch die wirkliche Zahl der Opfer ist weit höher. Nur etwa ein Zehntel der Vergewaltigungen wird tatsächlich angezeigt und wiederum lediglich sechs Prozent der angezeigten Täter bestraft. “Damit die Tragödie nicht unter diesen betäubenden Zahlen untergeht” fährt Lungile fort, “sind die Geschichten der einzelnen Opfer umso wichtiger. Auch weil die meisten von ihnen sich nicht trauen oder sich schämen, ihr Schweigen zu brechen. Wir unterstützen sie dabei.”
Opfer gestorben – Täter bekannt und auf freiem Fuss
Lifeline thematisiert am heutigen Marsch einen aktuellen, tragischen Fall: Eine junge Frau, die ihren Vergewaltiger anzeigen wollte, wurde von ihm derart misshandelt, dass sie wenige Tage später ihren schweren Verletzungen erlag. Obwohl sie in der Lage war, den Täter noch vor ihrem Tod zu identifizieren, ist dieser vor wenigen Tagen gegen eine Kaution freigekommen. Der Prozess gegen ihn wird bis heute hinausgeschoben. “Er darf diese Weihnachten im Kreise seiner Familie geniessen, sein Opfer und dessen Familie dagegen nicht!” empört sich eine junge Frau während der Kundgebung.
Solidarischer und symbolischer Tod
Opfern wie diesem eine Stimme zu geben und das gravierende Gewaltproblem sichtbar zu machen, darum geht es Lifeline beim heutigen Marsch. Das Schweigen und die Tabuisierung in der Gesellschaft, aber auch innerhalb von Familien, muss gebrochen werden. Als Zeichen der Solidarität hatten sich viele der knapp 120 TeilnehmerInnen ihre Münder zugeklebt. Schweigend liefen sie bis zum Rathaus und “starben” dort symbolisch für alle Gewaltopfer.
Gewalt muss öffentlich werden
Nach dem Marsch versammeln sich die TeilnehmerInnen in einer Halle um ihre Erfahrungen auszutauschen. Es sind bewegende Geschichten und es braucht viel Mut und Vertrauen, sie zu teilen. Es braucht Menschen, die nicht mehr länger wegschauen und -hören, sondern Opfern den Raum bieten, ihr Schweigen zu brechen. Darum geht es Lifeline nicht nur heute und in den kommenden 16 Tagen: Gewalt an Frauen darf keine private Angelegenheit bleiben, sie muss zum öffentlichen Thema werden. Gewaltopfer müssen unterstützt und Täter bestraft werden.