Ende Oktober trafen sich 50 Profis aus fünf Ländern in zwei Kontinenten und drei Zeitzonen zur SRHR-Plattform von terre des hommes schweiz. Thema war die sexuelle Gesundheit in der Arbeit mit Jugendlichen im südlichen Afrika. Wegen der Pandemie fand die Konferenz im digitalen Raum statt. Hafid Derbal, Projektkoordinator für Simbabwe und Südafrika und Fachverantwortlicher Gesundheit bei terre des hommes schweiz, hat sie mit vorbereitet.
SRHR ist die Abkürzung von Sexual and Reproductive Health and Rights, Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte. Was bezweckt die SRHR-Plattform von terre des hommes schweiz?
Hafid Derbal: Alle vier Jahre treffen wir uns mit den lokalen Partnern aus dem südlichen Afrika, die mit Jugendlichen zu Teenagerschwangerschaften und HIV/Aids arbeiten. Wir blicken zurück, tauschen unsere Erfahrungen aus und definieren unsere gemeinsame Planung für die nächste Zeit ‒ auf Augenhöhe. Dazu laden wir auch Organisationen aus unserem Netzwerk und externe Fachleute ein.
Was bedeutet Planung «auf Augenhöhe»?
Die konkrete Arbeit mit den Jugendlichen machen nicht wir, sondern die Arbeit im Feld leisten die einheimischen Partner in Mosambik, Tansania, Simbabwe und Südafrika. Es ist deshalb wichtig und richtig, dass ihre Expertise und Einschätzungen in unser gemeinsame Vorgehen einfliessen. Die SRHR-Plattform ist ein Raum für die gemeinsame Reflexion. Wo ist es gut gegangen, wo müssen wir etwas ändern und was soll komplett neu angegangen werden?
Können Sie ein paar Beispiele geben, die Sie während der Konferenz besprachen?
Zum Beispiel das Thema Menschen- und Gesundheitsrechte oder die institutionelle Stärkung. Das heisst, in den letzten Jahren haben unsere Partner vermehrt den Wunsch geäussert, dass wir sie im Bereich der Projektevaluation für die Wirkungsmessung unterstützen. Dazu zogen wir dieses Mal eine Expertin aus Südafrika hinzu.
Oder wir tauschten uns aus zur Frage: Gibt es neue Erkenntnisse in Bezug auf die Menstruationshygiene? Wie binden wir junge Männer ein, wenn es um Gewalt gegen Frauen und deren Prävention geht? Mit welchen Medien und über welche Kommunikationskanäle erreicht man Jugendliche besonders gut?
Ein Frage, die uns immer wieder beschäftigt, ist: Wie können wir Jugendliche auf das Thema sexuelle Gesundheit ansprechen? Sie sind zwar unsere Hauptzielgruppe, doch wir können sie nicht losgelöst von ihrem sozialen Umfeld erreichen. Ihre Familien, Eltern, Lehrpersonen, Gesundheitsfachleute oder traditionelle Führer und politische Entscheidungsträger müssen unsere Arbeit mit den Jugendlichen zuerst verstehen, sie gutheissen und vor allem unterstützen. Ohne ihr Vertrauen und ihr Mitwirken geht gar nichts und um das zu erreichen braucht es viel Geduld, Fingerspitzengefühl und eine gute Planung der Zusammenarbeit.
Wegen der Corona-Pandemie fand die SRHR-Plattform online statt.
Sie war eine Mischung aus digitaler und physischer Konferenz. Digital war der Austausch über die Länder und Kontinente hinweg. Für die praktischen Gruppenübungen vor Ort waren die Teilnehmenden in einem Raum zusammengekommen mit der nötigen technischen Infrastruktur und einem funktionierenden Internetanschluss.
Wir hatten ja vor der Situation gestanden: Entweder lassen wir die SRHR-Plattform aus oder wir führen sie ‒ erstmals und sehr kurzfristig ‒ online durch. terre des hommes schweiz ist eine lernende Organisation und also stellen wir uns solchen Herausforderungen. Gemeinsam überlegten wir, was lässt sich digital umsetzen und was nicht? Wir fragten das Gesundheitsnetzwerk Medicus Mundi Schweiz, die viel Erfahrung mit der digitalen Kommunikation haben, nach ihren Erfahrungen. So konnten wir mit vereinten Kräften eine digitale Plattform auf die Beine stellen, die gut funktionierte. Es war intensiv und bereichernd!
Die digitale Kommunikation ist anstrengend. Wie haben Sie das Konferenzprogramm strukturiert, um Ermüdungserscheinungen vorzubeugen?
Jedes Thema, jeder Input wurde danach zuerst in den physischen Kleingruppen besprochen. Anschliessend trafen wir uns alle wieder im virtuellen Raum der Video-Konferenz für die gemeinsame Nachbearbeitung mit Feedbackrunde. Das klappte bestens und ich war sehr beeindruckt: Alle waren voll bei der Sache.
Die SRHR-Plattform war eine grandiose Pioniertat unseres Teams. Die Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Projektländern hat ausgezeichnet funktioniert, denn wir sprechen dieselbe Sprache und kennen uns bereits gut.
Ersetzt die Online-Kommunikation also künftig die teuren und umweltbelastenden Projektreisen von terre des hommes schweiz ins südliche Afrika und in lateinamerikanische Länder?
Die digitalen Austauschplattformen, die wir schon vor der Gesundheitskrise hatten, wenn auch nicht im selben Ausmass, werden klar ein Teil unserer Arbeit bleiben. Sie können jedoch die Projektreisen nicht ersetzen.
Bei terre des hommes schweiz haben wir das Glück, dass wir lokales Personal vor Ort haben. Sie können unter Berücksichtigung der Covid-19-Schutzmassnahmen unsere Projekte mit Jugendlichen wieder besuchen. Es braucht jedoch auch den direkten persönlichen Austausch mit unseren lokalen Partnern und mit den Menschen, die von den Projekten profitieren, allen voran die Jugendlichen.
Wie lässt sich der «Erfolg» einer Projektreise beschreiben?
Man spürt zum Beispiel die Dynamik, ob es bei der Partnerorganisation gut läuft oder nicht. Man nimmt die Situation im Land war, zum Beispiel im Gespräch mit dem Taxifahrer, bekommt mit, wie es den Jugendlichen in den Projekten geht, trifft sich mit anderen Hilfswerken und so weiter. Die Projektreise ist gewissermassen ein Teil des Projektmonitorings. Umgekehrt ist es für unsere Partner im Globalen Süden ein wichtiger Moment für den direkten Austausch mit der Schweiz.
Projektreisen stärken das gegenseitige Vertrauen und Verständnis füreinander. Wenn man die Projekte ab und zu persönlich besucht, ist man auch im digitalen Austausch anders zusammen unterwegs und kann gemeinsam mehr bewirken.
Interview: Anna Wegelin
Mehr Informationen zu unserem Arbeitsschwerpunkt zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit hier
Externer Link: Hafid Derbal und Tayson Mudarikiri über die Zunahme der sexuellen Gewalt in Südafrika und die zusätzliche Arbeitsbelastung angesichts der Corona-Pandemie hier