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Wie dekolonisiert man Entwicklungszusammenarbeit?

Entwicklungszusammenarbeit und Dekolonisierung. Man dürfte erwarten, dass diese Bereiche selbstverständlich Hand in Hand gehen. Die Wirklichkeit ist leider etwas komplexer, bringt aber spannende Debatten und fördert das Lernen und Wachsen. Diese Erfahrung durfte unser Nationalkoordinator Tayson Mudakiri aus Simbabwe in den zehn Jahren machen, die er für terre des hommes arbeitet. 

Schlagworte wie «Dekolonisierung», «Rassismuskritik» oder «Genderdebatte» klingen wie ein Trend. Sie sind es aber nicht. Dekolonisierung beispielsweise wird seit der Kolonialzeit immer wieder thematisiert. Immer wieder, doch immer anders und weiter. Beschrieb «Dekolonisierung» während der Kolonialzeit noch die Befreiung von Ländern und ihrer Bewohner*innen vom kolonialen Status, so steht der Begriff heute vielmehr für die Befreiung vom Einfluss kolonialer, meist europäischer, Strukturen auf unsere heutigen Denkmuster, Werte und Strukturen. Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) hat sich in den letzten 100 Jahren sehr verändert und weiterentwickelt. In der Kolonialzeit war das, was wir heute allgemein EZA nennen, eng mit Missionierung verbunden. Schaut man auf die 1960er Jahre, und auch auf die Geschichte von terre des hommes schweiz, wurde unter EZA eine Art Wohltätigkeitsarbeit verstanden, die sich darauf beschränkte, Almosen zu verteilen, ohne strukturelle Ursachen von Armut anzugehen. Über die Jahrzehnte hinweg haben sich das Verständnis und damit auch die Umsetzung von EZA zum Positiven verändert, auch weil Dekolonisierungsdebatten immer wieder geführt wurden.  

Lokale Strukturen stützen  

Das liegt daran, dass jede Generation die Frage der Dekolonisierung neu stellt und beantwortet. Längst profitiert die Arbeit von terre des hommes schweiz, so wie die von vielen anderen seriösen Schweizer NGOs, vom Know-how lokaler Mitarbeiter*innen. Ich beispielsweise bin auf dem Land in Simbabwe geboren, kenne die kulturellen Besonderheiten im Land, die Denk- und Arbeitsweisen meiner Landsleute, ihre Nöte aber auch ihre Lösungsansätze. Wir als Mitarbeiter*innen möchten lokale Strukturen stützen und arbeiten deshalb mit lokalen Organisationen und Behörden. Auch das ist das Ergebnis von Dekolonisierung der EZA. Wie viele der Projekte, die von terre des hommes schweiz getragen werden, beruht die Nachhaltigkeit der Projekte auf zwei Aspekten. Ein Aspekt ist die Stärkung und Befähigung der Begünstigten auf verschiedenen Ebenen, damit sie unabhängige Akteure des Wandels werden. So können sie lokale Institutionen und wichtige Interessengruppen definieren, die sie unterstützen können. Ein zweiter Aspekt ist die Advocacyarbeit, mit Hilfe derer Richtlinien und Strukturen langfristig jugendfreundlicher gestaltet und eine nachhaltige systemische Veränderung erreicht werden kann. Neben der finanziellen Unterstützung investiert terre des hommes schweiz in die lokalen Mitarbeiter*innen, damit sie ihre Kapazitäten ausbauen können.  

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Jugendliche werden bestärkt und befähigt, damit sie unabhängige Akteure des Wandels werden. Foto Hafid Derbal

Ein offener und kritischer Austausch  

Talent Jumo, Direktorin der Frauenrechtsorganisation Katswe Sistahood in Simbabwe, bewertet unsere Arbeit wie folgt: «Der terre des hommes schweiz-Ansatz ist nicht vorschreibend oder wertend, daher finden wir ihn ermutigend. Er ermöglicht es den Partner*innen an der Basis, relevante Initiativen zu entwerfen und sie so umzusetzen, dass die Gemeinschaften gestärkt werden. Die Partnerschaft mit terre des hommes schweiz unterstützt jugendgeleitete Prozesse und eine gemeinschaftsbasierte Überwachung des Lernens. Sie ermöglicht den jungen Menschen, zu definieren, was Erfolg bedeutet und wie er gemessen wird. Dies erfordert eine enorme Investition in Form von Zeit und Ressourcen.» Diese Arbeit auf Augenhöhe ist uns wichtig, ohne dass wir dabei Machtdynamiken ignorieren. Das zeigt uns, dass wir unsere Arbeit gut machen. Ich weiss beispielsweise von Partner*innen, die von Geldgeber*innen recht dominant behandelt werden. Projektbesuche werden kurzfristig angekündigt – ohne Rücksicht auf Termine und Koordinationsaufwand für die Partner*innen vor Ort. Diese Haltung abzulegen, auch das ist Dekolonisierung der EZA, genauso wie die Rücksicht auf Partner*innen, auf ihre Bedürfnisse und den Respekt für ihre Arbeit und die Anerkennung für ihre Leistungen. Das gilt auch für die Einverständniserklärung eines Bildes vor der Publikation oder für die würdige Darstellung unserer Jugendlichen nach aussen. Auch die Rekrutierung von Expert*innen, Fotograf*innen, Forscher*innen für externe Aufträge geschieht mittlerweile in den Ländern selbst, damit niemand aus Europa eingeflogen werden muss.  

Der Mut zur Debatte  

Doch es bleibt viel zu tun und viele Fragen gilt es noch zu beantworten. Ist ein Hauptsitz in Basel heute noch zeitgemäss oder müssten solche Strukturen nicht besser dezentralisiert werden? Welches interne Know-how kann heute bereits in den Ländern positioniert werden? Wie kann man sicherstellen, dass bei strategischen und programmatischen Entscheiden die Stimmen der Jugendlichen, der lokalen Partner*innen und Mitarbeiter*innen das Gewicht erhalten, das ihnen zusteht? Es gibt auf keine dieser Fragen einfache Antworten. Wichtig ist aber, dass man sich nicht scheut, sie zu stellen und gemeinsam zu beantworten. Das schätze ich sehr an meiner Arbeit bei terre des hommes schweiz. Ich kann wirklich sagen, dass wir den Mut haben, solche Debatten immer wieder zu führen. Nicht nur, weil es Teil unserer Verantwortung ist, als EZA-Akteurin voranzugehen, sondern auch weil wir als lernende Organisation das Selbstverständnis haben, unsere Rolle, unsere Strukturen und Denkweisen immer wieder gemeinsam zu hinterfragen und gemeinsam zu wachsen. So wird EZA dekolonisiert.  

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Verantwortungsvolle Kommunikation

Auch mit unserer Kommunikation möchten wir Respekt vor der Würde und den universellen Rechten aller Menschen vermitteln. Wenn immer möglich, lassen wir die Menschen und unsere Partner*innen im Süden selbst zu Wort kommen. Wir zeigen sie als Handelnde, die ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen und ihr politisches, wirtschaftliches und soziales Umfeld positiv beeinflussen. Als Mitglied der Alliance Sud halten wir uns an das Manifest für eine verantwortungsvolle Kommunikation der internationalen Zusammenarbeit, das im September 2020 erstellt wurde. 


Von Tayson Mudarikiri, Nationalkoordinator in Harare, Simbabwe.  

Übersetzt von Hafid Derbal, Programmkoordination für Simbabwe und Südafrika, Schweiz 

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