Vor rund zwei Wochen gab Parlamentspräsident Eduardo Cunha grünes Licht: Seitdem läuft das Amtsenthebungsverfahren gegen Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Sie wird beschuldigt Steuergesetze verletzt und geschönte Haushaltszahlen vorgelegt zu haben. Von vielen BeobachterInnen wird das Verfahren als ein politisches Manöver der Opposition betrachtet, das die Absetzung der Präsidentin und ihrer Sozialpolitik zum Ziel hat. Zivilgesellschaftliche Akteure, wie unsere Partnerorganisation Centro Sabiá, stellen sich an die Seite der Präsidentin.
Jonas Vollmer
Am 2. Dezember 2015 setzte Eduardo Cunha (PMDB, Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung) als Parlamentspräsident das Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin Dilma Rousseff (PT, Arbeiterpartei) in Gang. Die gegen Rousseff vorgebrachten Beschuldigungen werden weit herum als vorgeschobene Gründe gesehen, um nicht nur Rousseffs Amtszeit zu beenden, sondern auch die Politik der Arbeiterpartei zu diskreditieren. In dieser Auseinandersetzung kristallisiert sich der Kampf der konservativen Opposition gegen eine Links-Regierung, die seit 2002 – der Wahl von Luíz Inácio “Lula” da Silva – die Geschicke des Landes bestimmt. Zahlreiche Grundsatzentscheidungen und Sozialprogramme dieser Regierung haben ArbeiterInnen und zivilgesellschaftliche Organisationen nachhaltig gestärkt. Mit dem Verfahren gegen Rousseff treibt die Opposition einen weiteren Keil zwischen die politischen Lager und fördert damit die Spaltung und Polarisierung in der grössten Volkswirtschaft Südamerikas. Während die Teilnehmerzahlen der Proteste sinken, die das Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin unterstützen, wachsen die Demonstrationen für die Regierung und gegen Rousseffs Amtsenthebung zunehmend an.
Partner von terre des hommes schweiz engagiert trotz Krise
Auch für die Partner von terre des hommes schweiz in Brasilien beginnen damit unsichere Zeiten, unter anderem im Bereich Ökologischer Agroforstbau und Jugendpartizipation. So hat das brasilianische Nationalprogramm zur Reduktion von Agrarchemikalien (Pronara) durch die aktuelle politische Situation kaum Chancen auf eine Umsetzung. Doch die seit den 1980er Jahren stark gewachsene brasilianische Zivilgesellschaft findet sich nicht damit ab. So berichtet unsere Partnerorganisation Centro Sabia in Pernambuco/Nordost-Brasilien davon, wie in einer öffentlichen Aktion ein “Amtsenthebungsverfahren für Agrarchemikalien” gefordert wurde. Der Brasilianischen Vereinigung für Öffentliche Gesundheit zufolge sind 64 Prozent der Lebensmittel in Brasilien durch Pestizide und Fungizide verunreinigt.
Wachsende Unsicherheit in Politik und Wirtschaft
Mit der Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens gegen die brasilianische Präsidentin steigt die generelle Unsicherheit im politischen System des Landes, das schon jetzt durch wachsende Arbeitslosigkeit, Inflation und Rezessionsprognosen erschüttert wird. Notwendige Projekte und Gesetzesvorhaben bleiben wie gelähmt auf der Strecke, bereits ausgebaute und verbriefte Rechte stehen in der Gefahr wieder abgebaut zu werden. Dies betrifft beispielsweise den Arbeitnehmerschutz und die Festlegung indigener Territorien, Programme der ländlichen Entwicklung, Sozialprogramme, sowie den Jugendstrafvollzug und Frauenrechte.